
Das Thema dieses Eintrags ist etwas spezieller. Es geht um Teilchenbeschleuniger, aber eher um die Sorte, die bis Mitte des letzten Jahrhunderts weit verbreitet in Radios ihren Dienst taten und heute vor allem in Spezialanwendungen oder bei Liebhabern zum Einsatz kommen: Hochvakuum-Elektronenröhren.
Die Funktionsweise dieser Transistor-Vorgänger in Verstärkern beruht ganz entscheidend auf dem oben gezeigten Verhalten des Stroms in Abhängigkeit von der „Beschleunigungsspannung“. Hier geht es jetzt um die Verbindung zwischen der mathematischen und der physikalischen Erklärung dieses Verhaltens. Wie kommt der allmähliche Anstieg des Stroms zustande und wie wird der Übergang in den Sättigungsbereich beschrieben, in dem der Strom konstant bleibt und die Kennlinie in die Waagrechte geht?

Elektronenröhren basieren darauf, dass Elektronen aus einer heißen Kathode austreten und durch eine Spannung beschleunigt auf einer Anode auftreffen und als Strom abgegriffen werden können. Je nach Bauweise liegen auf dem Weg keine (Diode), eine (Triode) oder mehrere (Tetrode, Pentode…) zusätzliche gitterförmige Elektroden, durch die die Elektronen auf dem Weg zum Ziel hindurch müssen. Spannungsänderungen an diesen Gittern können den Elektronenfluss zur Anode steuern und so z.B. ein Signal verstärken.
Dass das funktioniert, ist auf den ersten Blick gar nicht so offensichtlich. Nach der Richardson-Gleichung wird an einer heißen Kathode eine bestimmte Anzahl Ladungen pro Sekunde freigesetzt,
Es wäre naheliegend anzunehmen, dass alle diese Elektronen auch zur Anode beschleunigt werden, sobald zur Kathode irgend eine positive Spannung anliegt. Dann gäbe es im Groben nur zwei Einstellungen der Röhre: Gar kein Anodenstrom oder „alles was geht“. Dass dem nicht so ist, sieht man an den Kennlinien von Barkhausen im ersten Bild, die zwar relativ steil aussehen, aber nicht schlagartig ansteigen.
Wieso huschen nicht sofort alle emittierten Elektronen ans Ziel, sobald eine Spannung anliegt? Das liegt an der negativen Ladung der Elektronenwolke selbst, die sich um die Glühkathode bildet. Sie schirmt die Beschleunigungsspannung von den nachkommenden Elektronen ab – bis sie es eben im Sättigungsbereich nicht mehr tut. Man spricht von der sogenannten „Raumladungs-Begrenzung“ des Stroms.
Um diesen Effekt der Raumladungsbegrenzung und den Ursprung des graduellen Anstiegs des Stroms theoretisch zu sehen, muss man über die Behandlung der Elektronen in der Röhre als einzelne Probeladungen hinaus gehen und ihre kollektive Rückwirkung auf das elektrische Feld in der Röhre berechnen. Dazu muss man im Prinzip das gesamte Problem der Ladungsverteilung- und -strömung zwischen Kathode und Anode lösen. Die resultierende Abhängigkeit des Anodenstroms von der Spannung I(U) hat dann eben die Form, die wir im obigen Bild von Barkhausen sehen.
Im Bereich, bevor die Sättigung eintritt, folgt der Anstieg dem Langmuir-Child-Schottky-Gesetz. Es besagt, dass der fließende Strom mit der Potenz
mit der Spannung ansteigt (und eben nicht plötzlich). Wie kommt man auf diese Abhängigkeit? Die Lösung solcher nichtlinearer Gleichungen kann beliebig kompliziert sein, aber zumindest in einer Dimension (d.h. unter Annahme einer breiten Röhre mit homogenen Feldern) kommt man mit zwei halbwegs übersichtlichen Integrationen aus.
Die übliche Rechnung, die sich auch an verschiedenen Stellen im Internet findet, geht so: Im Vakuum der Röhre kann eine fließende Stromdichte nur von fliegenden Ladungen kommen, also ist die Stromdichte gleich der Ladungsdichte mal der Geschwindigkeit,
Damit haben wir links schon die gesuchte Größe stehen, die Stromdichte. Jetzt müssen wir die Ladungsdichte und die Elektronengeschwindigkeit
auf die Spannung zurückführen, dann sind wir fertig.
Die Spannung kommt einerseits ins Spiel, indem wir die Ladungsdichte über die Maxwellgleichung
auf die Feldstärke und dann – hier kommen die Integrale – auf die Potenzialdifferenz U zurückführen.
Im Detail: in einer Dimension ist die Divergenz div einfach die Ableitung, also ist
Das können wir in den Gesamtausdruck für die Stromdichte einsetzen und bekommen
Die Feldstärke E ist aber schon die Ableitung des Potenzials (der elektr. Spannung), E=U‘, und damit
Bevor wir uns daran machen, die Ableitungsstriche loszuwerden, drücken wir noch die Geschwindigkeit durch die Spannung aus. Dazu verwenden wir, dass die kinetische Energie der Elektronen aus dem Fallen durch das Potenzial kommt und damit direkt damit zusammenhängt. Dann ist nämlich (wir gehen vom Anfangspotenzial U=0 aus)
denn elektrische Spannung ist ja Energie pro Ladung. Einsetzen ergibt
Das ist ein Erfolg, da alle Unbekannten jetzt direkt mit der Spannung U und ihrer Ableitungen oder der Stromdichte j zusammenhängen. Wir müssen jetzt „nur“ zweimal integrieren, um die doppelte Ableitung loszuwerden, und haben das Raumladungsgesetz. Um etwas Ordnung zu schaffen, packen wir die ganzen Konstanten in die Variable
und erhalten
oder
Der übliche Trick um das zu integrieren sieht vor, auf beiden Seiten U‘ zu multiplizieren,
Man kann jetzt die linke Seite als Resultat der Kettenregel, die rechte Seite als Ableitung eines Produkts auffassen,
Die beiden Seiten müssen also bis auf eine Integrationskonstante gleich sein
Diese Konstante C wird hier auf 0 gesetzt – was sie bedeutet und weshalb, darauf werden wir gleich zurückkommen. Macht man es, vereinfacht sich die Gleichung zu
und nach Wurzelziehen zu
Jetzt separieren wir die Variablen,
und Integrieren quer durch die Röhre von x=0 bis x=L bzw. U=0 bis
Es ist wieder Zeit zu quadrieren und nach j aufzulösen,
Damit haben wir das Ziel erreicht: die Stromdichte, und damit der Strom, sind proportional zur Potenz der Anodenspannung , wie auch in der Grafik von Barkhausen angedeutet. Das ist das Raumladungsgesetz.
Diese Gleichung würde nahelegen, dass das Gesetz für beliebig hohe Spannungen gilt, aber dem ist ja nicht so, da irgendwann der Sättigungsstrom erreicht wird. Wo bricht unsere Herleitung denn an dieser Stelle zusammen? Hier kommt unsere Wahl der Integrationskonstanten C=0 ins Spiel. Betrachtet man die Gleichung von oben,
sieht man, dass die Integrationskonstante direkt den Wert von U'(0) an der Kathode bestimmt, da wir U(0)=0 verwenden. Mit C=0 haben wir oben also auch U'(0)=0 gesetzt. Damit setzen wir das elektrische Feld an der Kathode =0. Weshalb sollten wir das dürfen? Das ist nur gerechtfertigt, wenn die Ladungswolke um die Kathode durch Rückfluss von Elektronen ein Gleichgewicht mit der Kathode aufbaut, sodass die Kathode keine Oberflächenladung aufweist, die als Quelle für ein elektrisches Feld direkt an der Kathode herhalten würde. Das wird im „raumladungsbegrenzten“ Bereich so angenommen.
Kommt die Glühkathode aber nicht mehr „hinterher“ mit der Freisetzung von Elektronen, werden diese alle sofort wegbeschleunigt, und es baut sich eine Oberflächenladung an der Kathode auf – es tritt die Sättigung ein. Die Röhre verhält sich zunehmend wie ein Plattenkondensator mit einem näherungsweise konstanten elektrischen Feld, in dem Probeladungen beschleunigt werden. Wie passt das mathematisch zusammen?
Dieser Effekt der Sättigung macht sich in der obigen Gleichung so bemerkbar: Für einen gegebenen Maximalwert des Stroms j (der physikalisch durch die Emission der Glühkathode vorgegeben ist), können für passende Integrationskonstanten C<<0 beliebig hohe Spannungen erreicht werden. Die elektrische Feldstärke
wird dabei wie in einem Plattenkondensator näherungsweise eine Konstante, da der
-Term gegenüber C und dem
-Term vernachlässigbar wird. Umgekehrt ausgedrückt kann also bei einer beliebigen Steigerung der Anodenspannung der Strom auf dem durch die Glühemission festgelegten Maximalwert stehenbleiben. In diesem Sättigungsbereich verliert die obige Differenzialgleichung ihre Vorhersagekraft, da wir die Annahme C=0 fallen lassen müssen, aber den Wert der Konstante (und damit den Sättigungsstrom) nicht ohne weitere Annahmen kennen können.