Der Graph des Monats: Was ist drin im Universum, und was hat der LHC damit zu tun? (Teil 1)

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Dieses Mal haben wir einen Graph ausgewählt, der eigentlich der Kosmologie zuzuordnen ist. Er sagt uns etwas sehr wichtiges: Wie gekrümmt und wie voll das Universum ist, und damit, wieviel Dunkle Energie und (Dunkle) Materie es enthält:

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Quelle: Particle Data Group

Um aber gleich die wichtigsten Spoiler vorweg zu bringen: Das Universum ist offenbar nicht merklich gekrümmt, und es enthält Dunkle Energie und Dunkle Materie! Aber lasst uns, im wahrsten Sinne des Wortes, von vorne anfangen! Ganz vorne…

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Große Scheunen, kleine Scheunen, oder – weißt Du, wieviel Teilchen entstehen?

Die Menge der Daten, die Beschleuniger wie der LHC sammeln, werden in „inversen Barns“ oder „inversen Femtobarns“ gemessen -beispielsweise wird erwartet, dass die Experimente des LHC in ihrem diesjährigen Lauf 20 inverse Femtobarns sammeln. Gerade wurde vermeldet, dass das erste fünftel inverse Femtobarn erreicht wurde

 

Was bedeutet das?

Barn, das englische Wort für Scheune, ist in der Teilchenphysik ein Maß für eine Fläche. Eine Scheune ist im amerikanischen Sprachgebrauch eigentlich etwas, was so groß ist, dass man es bei einer Zielübung nicht verfehlen kann. Je größer die Fläche, um so häufiger trifft man.

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Nicht nur am LHC gibt es Barns, sondern auch am Fermilab
(c) Fermilab, Batavia IL

Das physikalische Barn ist aber für Alltagsverhältnisse dennoch extrem winzig, 10^{-28} m^2. Warum ist solch ein kleines Flächenmaß so interessant für Kern- und Teilchenphysiker? Die Bezeichnung kommt aus der Blütezeit der Kernphysik, und in der Welt der Atomkerne ist ein Barn viel, nämlich in etwa die Größe eines schweren Atomkerns wie Uran. In der Teilchenphysik rechnet man heute häufig mit Picobarns oder Femtobarns, also einem Billionstel oder Trillionstel Barn.

Der LHC lässt zwar viele millionen Mal pro Sekunde Teilchen aufeinander treffen, doch etwas Interessantes wie etwa die Erzeugung eines Higgs-Teilchens passiert dabei vergleichsweise selten. Kennt man aber die entsprechenden Barns und inversen Barns, kann jeder sofort ausrechnen, wie häufig gewisse Dinge am LHC vorgekommen sind oder vorkommen werden. Die Formel dafür ist ungefähr so kompliziert wie die für den Preis von 20 Tüten Milch. Hier ist sie:

Anzahl Ereignisse = inverse Barns  * Barns

Beispiel: man würde gerne bis Ende des Jahres 20 inverse Femtobarns sammeln. Die Fläche, die laut Theorie der Produktion eines Higgsteilchens entspricht, kann man in der einschlägigen Literatur nachlesen – es sind so in etwa 44000 Femtobarns für den effizientesten der verschiedenen Produktionswege. Wieviele Higgsteilchen werden demnach dieses Jahr voraussichtlich in den Experimenten des LHC erzeugt? Genau, jeweils ganze 880000 Stück in den Experimenten ATLAS und CMS! Die selbe Rechnung funktioniert natürlich auch für andere Teilchen, deren Fläche für die Erzeugung (den „Produktionsquerschnitt“) man kennt.

So hat jede Teilchenphysikerin die „Barns“ ihrer Lieblingsteilchen, egal ob spekulativ oder real existierend, im Hinterkopf. Sobald von den Experimenten die erreichten „inversen Barns“ verkündet werden, weiß sie sofort, wieviele Teilchen einer bestimmten Sorte schon entstanden sein könnten. Mit etwas mehr Nachdenken kann man dann versuchen abzuschätzen, ob eine einschlägige Entdeckung schon möglich wäre oder nicht. Dazu muss man aber wissen, wie gut man die gewünschten Ereignisse von anderen unterscheiden kann – das ist eine andere Geschichte…

 

Auf zu neuen Ufern, oder – Quo vadis, LHC?

Nachdem vorletzte Woche ein ambitionierter Marder in der Elektrik des Large Hadron Colliders sein tragisches Ende gefunden und damit den leistungsfähigsten Teilchenbeschleuniger der Welt vorübergehend stillgelegt hat, ist nun wieder alles repariert und die Maschine läuft wieder!

Doch was erwartet uns nun an wissenschaftlichen Ergebnissen? Die Pflicht besteht in der genaueren Vermessung der bekannten Teilchen, vor allem des noch „frischen“ Higgs-Bosons, über dessen genaue Eigenschaften es noch viel zu lernen gibt.

Die Kür wäre aber eine Entdeckung. In aller Munde sind derzeit die Hinweise auf ein neues Boson mit der sechsfachen Masse des 2012 entdeckten Higgs-Teilchens. Würde sich herausstellen, dass es sich hier nicht um einen statistischen Ausreißer handelt, sondern tatsächlich um ein neues Teilchen, könnte man das ohne zu viel Übertreibung als den größten Umbruch in der Teilchenphysik seit den 70er Jahren nennen. Denn fast alles, was seitdem in der Teilchenphysik getrieben wurde, ist sehr eng mit der „Theorie von fast allem“, dem sogenannten Standardmodell der Teilchenphysik verknüpft. Es ist die große Theorie der elektromagnetischen und schwachen Wechselwirkungen, die in den 1960ern von Glashow, Salam und Weinberg aufgestellt und im Anschluss durch verschiedene Arbeiten um die starken Wechselwirkungen erweitert wurde.

Die Entdeckung eines völlig neuen, unerwarteten Teilchens wäre ein regelrechter Befreiungsschlag für die Grundlagenphysik

Es wurden seitdem zwar wichtige teilchenphysikalische Entdeckungen gemacht, die über das Standardmodell in seiner ursprünglichen Form hinausweisen (vor allem, dass Neutrinos eine Masse haben – noch ist unbekannt, wie das funktioniert!), doch wirkliche Entdeckungen neuer Teilchen, die ein völlig neues Fass der Grundlagenphysik aufmachen würden, blieben bisher aus. Das Standardmodell funktionierte als Theorie bisher so gut, dass man schon langsam begann, sich Sorgen zu machen, in welche Richtung die Forschung weitergehen könne. Die Entdeckung eines völlig neuen, unerwarteten Teilchens wäre ein regelrechter Befreiungsschlag, würde ein Tor zu ganz neuer Forschung sowohl aus experimenteller als auch theoretischer Sicht aufstoßen.

Der mit Abstand stärkste Hinweis auf „neue Teilchenphysik“, den wir haben, kommt aus der Astrophysik und Kosmologie – das Standardmodell sagt nichts über die Dunkle Materie aus, denn die bekannten Teilchen haben die falschen Eigenschaften, um sie zu stellen. Es ist sehr plausibel, dass die Dunkle Materie aus Teilchen besteht, die am LHC hergestellt und beobachtet werden können, denn es ist nicht schwer, ein entsprechendes theoretisches Modell aufzustellen – es ist aber alles andere als sicher. So wurden beispielsweise „Axionen“ genannte Teilchen vorgeschlagen, die als Dunkle Materie funktionieren, aber nicht am LHC entdeckt werden können (dazu mehr in meinem Beitrag in der Sterne und Weltraum 08/16).

Daneben gibt es verschiedene etwas rätselhafte Messergebnisse, die auf neue Phänomene hinweisen könnten, aber erst durch weitere Messungen am LHC oder anderen Experimenten bestätigt werden müssen. So legen die sogenannten B-Mesonen ein etwas eigenartiges Verhalten an den Tag, und das Magnetfeld der Myonen scheint etwas von der theoretischen Erwartung abzuweichen.

Jede teilchenphysikalische Messung und Vorhersage kommt mit statistischen und systematischen Unsicherheiten daher. Die Dunkle Materie steht auf einer sehr sicheren empirischen Grundlage, die anderen bisher gesehenen Ungereimtheiten könnten allerdings statischen Ausreißern geschuldet sein – schließlich wird es umso wahrscheinlicher, einen Ausreißer zu beobachten, je mehr Beobachtungen man macht.

Die Messungen des Jahres 2016 werden uns mit etwas Glück Klarheit bringen. Gibt es neue Physik in unserer Reichweite, die die offenen wissenschaftlichen Fragen klären oder neue Einsichten über den Kosmos im Größten und Kleinsten liefern kann?

Abwarten!

Errata zu „Neustart LHC: das Higgs-Teilchen und das Standardmodell“

Durch eine Verkettung unglücklicher Umstände wurden in der ersten Auflage des Springer „essentials“ Neustart LHC: das Higgs-Teilchen und das Standardmodell beim Satz drei Formeln (viel mehr Formeln enthält es auch nicht 🙂 ) falsch wiedergegeben bzw. weggelassen.

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Der Graph des Monats: Bosonen-Allerlei

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Graf Graph lässt bitten…

Egal, ob bahnbrechende Jahrhundert-Entdeckungen oder die Diskussion minutiöser technischer Feinheiten – fast immer sind in der Physik Grafiken, Plots, Diagramme mit von der Partie.

In diesem Segment nehmen wir uns mal besonders aktuelle, mal einfach nur interessante oder hübsche Grafiken aus der Teilchenphysik und verwandten Gebieten vor, und erzählen, was man sieht und welche physikalischen Phänomene und Ideen dahinter stecken.

Als Einstieg für unser Graph-des-Monats-Feature haben wir diese schöne Grafik des CMS – Experiments ausgewählt, einem der großen Experimente am Large Hadron Collider. Hier gibt es allerlei zu sehen:

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Was sehen wir in diesem hübschen Bild? Weiterlesen „Der Graph des Monats: Bosonen-Allerlei“